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Wirtschaftsfeind Nr. 1

Warum das Mobiltelefon die Illusion des «freien Marktes» endgültig begraben hat und was diese Erkenntnis für Schweizer Unternehmen bedeutet.

Bild: Andrea Piacquadio (Pexels)


Die Zukunft der Märkte ist digital. Doch entgegen der verbreiteten Meinung, das Internet sei nun die Welt der unbegrenzten Möglichkeiten, sind die digitalen Märkte um ein Vielfaches kompetitiver und vor allem auch viel ungleicher. Um die Herausforderungen der digitalen Märkte zu verstehen, reicht ein Blick aufs eigene Mobiltelefon. Wie viele Apps von Schweizer Unternehmen finden sich auf der Startseite, die wir auch wirklich regelmässig nutzen? Und falls Sie vor 1985 geboren wurden, wiederholen Sie diesen Versuch doch bitte gleich nochmals bei einer U35-jährigen Person. Denn diese Altersgruppe gehört zu den Generationen der Millennials und jünger, die mit dem Internet und den Plattformen internationaler Anbieter aufgewachsen sind und die in 7 Jahren (2030) bereits 60% der Schweizer Bevölkerung ausmachen werden.


Nirgendwo sonst zeigt sich die Globalisierung und Ungleichheit der heutigen Wirtschaft eindrücklicher, als auf unseren Mobiltelefonen. Dieses handliche Elektronikgerät ist zu unserem wichtigsten Eingangstor ins Internet geworden. Unser Mobiltelefon bietet Zugang zum Marktplatz digitaler Dienstleistungen, sogenannter Apps, die längst unser Leben bestimmen. Suchmaschinen, Fahrpläne, soziale Netzwerke, Medien, Kalender, Fotoalben, Wetterprognosen, Banken, Fluggesellschaften oder Detailhandel, sie alle buhlen um die wenigen prominenten Plätze und machen das Mobiltelefon zu dem, was es heute ist: unser täglicher Begleiter. Alle 11 Minuten (!) schauen wir im Durchschnitt auf unser Mobiltelefon, insgesamt sind dies 88 Mal und in Summe ganze 5 Stunden pro Tag (Quelle: HealthyHabits). Mit dieser Aufmerksamkeit lässt sich auch viel Geld verdienen. Alleine in der Schweiz werden mit dem Onlinehandel inzwischen pro Jahr über CHF 15 Mia. (Quelle: GfK) umgesetzt. Tendenz stark steigend, wie alleine schon die Umsatzentwicklung von Digitec Galaxus beweist (+16% zu VJ2021).


Kein Wunder, sind die rund 24 App-Plätze auf der Startseite unserer Mobiltelefone heiss begehrt. Denn nur wer es als Unternehmen in einem Endkonsumentenmarkt (B2C) mit seiner App auf die Startseite schafft, ist im Alltag der Nutzenden auch relevant. Für Produkte und Dienstleistungen des täglichen Gebrauchs ist dies mehr als erfolgskritisch. Das Rennen macht, wer mit Angebot und Benutzerfreundlichkeit überzeugen kann. Entsprechend wird auch viel Geld in die Entwicklung der Apps investiert. Auf den ersten Plätzen stehen deshalb meist die grossen globalen Unternehmen. Es gilt, wer einmal eine hochwertige Plattform entwickelt hat, kann diese leicht auf andere Länder adaptieren, Plattformen wie Google, YouTube, Amazon oder Booking haben es uns vorgemacht. Und wer es wie die erwähnten Plattformen schafft, die Angebote anderer Anbieter auf seiner eigenen Plattform zu vereinen, macht seine Plattform noch relevanter und die anderen überflüssig. Deshalb gibt es immer mehr Geschäftsmodelle, die auf einer reinen Plattformlogik basieren und bestehende Inhalte aus dem Netz einfach mit bestehenden Konsumenten neu zusammenführen und aus den Netzwerkeffekten neue Umsätze erzielen. «Plattformökonomie» wird das neue digitale Wirtschaftssystem auch genannt und hängt wie ein Damoklesschwert über zahlreichen Branchen.


Auf diesen unweigerlich globalen Wettbewerb um die Gunst der Aufmerksamkeit sind die meisten traditionellen Schweizer Unternehmen schlicht nicht vorbereitet. Es fehlen ihnen die Mittel und das Know-how, um nebst den übermächtigen internationalen Technologiekonzernen bestehen zu können. Und so finden viele Schweizer Unternehmen den Zugang zu ihren Endkonsumenten mehrheitlich nur noch indirekt über Suchmaschinen und Handelsplattformen. Doch diese Abhängigkeit im Vertrieb (Distribution) und im Marketing von Produkten und Dienstleistungen ist fatal. Denn wer keinen direkten Zugang zu den Kunden hat, verliert nebst der Visibilität seiner Marke(n) auch den Einfluss über die Angebots- und Preisgestaltung und kann insbesondere auch keine direkten Nutzungs- und Nutzerdaten generieren. Kritiker mögen jetzt anmerken, dass der herkömmliche Detailhandel die gleichen Gesetzmässigkeiten aufweist. Doch die Startseite eines Mobiltelefons bietet mit ihren rund 24 freien App-Plätzen einen weitaus limitierteren Marktplatz, als die langen Verkaufsregale in der Migros oder die vielen Ladenflächen in der Zürcher Innenstadt.


Die Illusion einer «freien Marktwirtschaft» in der digitalen Welt, wird spätestens mit diesem ungleichen Wettbewerb auf den Mobiltelefonen begraben. Diese Entwicklung hat wohl selbst Adam Smith nicht kommen sehen. Die Dominanz der globalen Technologiekonzerne ist erdrückend. Für viele Branchen und Unternehmen ist der Wertverlust durch die digitale Plattformökonomie denn auch viel einschneidender, als durch politische Regulierungsmassnahmen, wie Einfuhrzölle oder Mindestlöhne. Und auch wenn die Politik die Marktmacht und quasi Monopolstellung der grossen Technologiekonzerne inzwischen erkannt hat, wäre auf eine rasche politische Beihilfe durch mehr Regulierung der Plattformen zu hoffen, äusserst naiv. Lesen Sie dazu auch folgenden Beitrag von ReMindset: The winner takes it all. Das Mobiltelefon wird damit unweigerlich und unerwartet zum wohl grössten Feind der Wirtschaft. Kriege, Katastrophen und Pandemien sind von dieser Betrachtung ausgenommen.


Gibt es Licht am Horizont? Durchaus, in dem Schweizer Unternehmen das gleiche tun, was die grossen Plattformen erfolgreich gemacht hat: Durch einen unverkennbaren Kundennutzen, durch eine starke USP und insbesondere durch die Bündelung von Anbietern und Angeboten die eigene Relevanz in der Verbreitung stärken. Letzteres erfordert jedoch mehr unternehmerische Offenheit für strategische Kooperationen und visionäre Lösungen. In der Schweiz sind wir davon aber in vielen Branchen noch weit entfernt, noch zu tief scheint der Leidensdruck. Dabei wären solche strategischen Kooperationen zur Stärkung der eigenen Markt- und Verhandlungsposition aus dem Einkauf schon längst gelernt.

Post-Mobile?

Viele Expertinnen und Experten prophezeien das Ende der Smartphones. Doch auch wenn das handliche Elektronikgerät in naher Zukunft durch intelligentere Interaktionsformen ersetzt werden sollte, das Gesetz der «Simplicity» und damit das Erfolgsrezept der Plattformökonomie, wird in einer zunehmend komplexen Welt sicher nicht verschwinden.

Responsive Webdesign ist kein Ersatz für eine App

Damit eine Website auf dem Desktop, auf dem Tablet und auf dem Mobiltelefon immer gut aussieht und einfach bedienbar ist, setzen heute die meisten Unternehmen auf das sogenannte «responsive Webdesign». Es ist jedoch Trugschluss zu glauben, mit responsive Webdesign könne man sich doch gleichzeitig auch die hohen Kosten für eine App sparen. Denn wer die Gesetzmässigkeiten der Plattformökonomie verstanden hat, weiss um die Bedeutung der Visibilität auf den Mobiltelefonen. Ohne App ist das Unternehmen darauf angewiesen, dass seine (potenziellen) Kunden das digitale Angebot auch aktiv suchen und finden. Spontane, flüchtige und zufällige Kontakte bleiben damit aus. Dabei wissen wir aus verschiedenen Studien, dass die Apps auf dem Mobiltelefon oft aus reiner Langeweile oder zur Überbrückung von «Leerzeiten» genutzt werden. Und im Gegenzug wissen nur wenige, wie man eine Browser-Adresse in eine App umfunktioniert. Nur eine App schafft die nötige und erfolgskritische Visibilität auf den Mobiltelefonen. Deshalb haben auch alle erfolgreichen Unternehmen in einem Endkonsumentenmarkt eine App. Sie auch?


Lesen Sie hier weitere pointierte Beiträge von ReMindset zum Thema: Plattformökonomie


Wer sich für die Medienindustrie interessiert, kann ich auch folgenden Beitrag empfehlen: Spotify für Journalismus


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Hier finden Sie weitere pointierte Beiträge. Bleiben Sie über die Themen Plattformstrategie, Geschäftsmodelle und Transformation auch in Zukunft informiert und abonnieren Sie jetzt die wöchentliche «Inspiration» von ReMindset.



Text: David Elsasser






Publikation nur mit Genehmigung und Nennung des Autors und der Unternehmung ReMindset. Sämtliche Aussagen in diesem Beitrag basieren auf der persönlichen Meinung und

Einschätzung des Autors und sind nicht an die Interessen früherer und bestehender Geschäfts- und Arbeitsbeziehungen oder an politische Interessen gekoppelt.

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