Warum wir aus einer Schreibmaschine niemals ein MacBook bauen können und was wir aus dieser Erkenntnis für die unternehmenseigene digitale Transformation mitnehmen sollten.

Bild: Cottonbro Studio (Pexels)
Spätestens mit der Corona-Pandemie ist sie bei uns allen auf dem Schreibtisch angekommen: die Digitalisierung unserer Arbeitswelt. Nach einigen Verbindungsschwierigkeiten und Mikrofon-Pannen, von Skype über Zoom zu Teams, mit Sharepoint im Rücken, OneNote in der Hand und mit Blick auf das Miro-Whiteboard, sind wir nun alle Teil der «New Work Econonomy» geworden. Für viele Arbeitstätige hat sich das neue «Remote Working» aus dem Heimbüro zudem wie ein Befreiungsschlag angefühlt, Eltern schulpflichtiger Kinder mal ausgenommen. Doch reicht das aus, um für die digitale Zukunft gewappnet zu sein?
Viele Unternehmen tun sich jedenfalls immer noch schwer damit, konsequent auf die Digitalisierung zu setzen und die nötige Transformation auch durchzustehen. Sprich, die finanziellen Mittel so konsequent umzulagern, dass nachhaltig in eine zukunftsgerichtete technologische Infrastruktur, in die Digitalisierung und Automatisierung der Wertschöpfungskette und Supportprozesse, sowie in die Rekrutierung und Weiterbildung von digitalen Fachkräften investiert werden kann. «Zeig mir dein Budget und ich sag dir, wie digital du bist» lautet denn auch ein gängiger Beraterspruch. Dabei wäre eine konsequente und bleibende Umlagerung der Mittel zugunsten der digitalen Wettbewerbsfähigkeit dringend nötig, bedenkt man die langen Entwicklungszeiten und Einführungsphasen für neue Technologien bis zur eigentlichen Rentabilität. Ein bisschen Digitalisierung um der Digitalisierung Willen reicht heute jedenfalls nicht mehr aus, die Probezeit ist vorbei.
Dennoch wäre es anmassend, den Verantwortlichen für das Zögern einen Vorwurf zu machen, denn die Digitalisierung ist definitiv nicht nur ein Heilsbringer. Im Gegenteil, für viele Unternehmen haben die ersten Schritte in die digitale Welt vor allem eins gebracht: die grosse Ernüchterung. Die Märkte sind viel fragmentierter, die Kundschaft sprunghafter und oft funktionieren auch die digitalen Geschäftsmodelle nicht so, wie man sich das eigentlich erhofft hatte. Und es fehlt an allen Ecken und Enden an Know-how, der Arbeitsmarkt um digitale Fachkräfte gleicht regelrecht einer Salzwüste. Kein Wunder, verharren deshalb viele Unternehmen lieber auf dem bewährten Festland, als sich in in die Fluten zu stürzen, mit der Ungewissheit, ob auf der anvisierten Insel denn auch die erhofften Früchte gepflückt werden können.
Die digitale Transformation ist für die meisten Unternehmen aus finanzieller Sicht zudem auch ein doppelter Kraftakt: Einerseits gilt es weiterhin den Betrieb im angestammten Geschäft sicherzustellen, andererseits muss mit der nötigen Konsequenz auch das neue digitale Geschäft hochgefahren werden. Einerseits soll die bestehende und tendenziell eher ältere Kundschaft nicht verärgert werden, andererseits sollen auch die nachfolgenden Generationen angesprochen werden, damit das Unternehmen auch zukünftig wettbewerbsfähig bleibt. Ein Spagat, den sich viele Unternehmen finanziell kaum leisten können. Insbesondere dann nicht, wenn gerade wegen der Digitalisierung der Märkte die eigenen Umsätze rückläufig sind und darum vor allem gespart, anstatt investiert werden sollte. Die Digitalisierung der eigenen Unternehmung zu «verschieben» oder die Investitionen zeitlich etwas «auszudehnen» scheint für viele Verantwortliche deshalb der einzige Ausweg aus diesem Dilemma. Doch ein einzelnes Unternehmen hat keinen Einfluss auf den Marktfortschritt. Insbesondere in der digitalen Marktwirtschaft gilt: Entweder geht man mit der Zeit oder man geht nach einer gewissen Zeit. Kodak, General Motors, Nokia oder Blackberry dienen uns als mahnende Wegweiser.
Trotz all dieser Herausforderungen, sollten wir für die Verantwortlichen dennoch nicht zu viel Mitgefühl aufbringen, denn das Scheitern einer Transformation ist meist hausgemacht. Gemäss der McKinsey-Studie «Wie der Wandel Wirklichkeit wird», orten 72% aller Befragten den Grund für das Scheitern der eigenen digitalen Transformation primär im Widerstand der Mitarbeitenden (39%) und in der Unfähigkeit des Managements (33%). Mangelnde finanzielle Ressourcen werden demgegenüber nur von 14% der Befragten als Ursache angegeben. Kurzum, die grössten Stolpersteine einer digitalen Transformation liegen also primär intern und adressieren das Management und die Mitarbeitenden zugleich. Und auch wenn nachfolgende Erfolgsfaktoren inflationär und nach Binsenwahrheiten klingen, sollen sie hier doch nochmals ins Feld geführt werden:
Haben die Mitarbeitenden die Notwendigkeit der digitalen Transformation verstanden?
Erscheint das Zielbild erstrebenswert und die Strategie logisch?
Werden die Massnahmen als machbar und der Zeitplan als realistisch eingestuft?
Finden Management und Mitarbeitende in der Zielformulierung persönliche Perspektiven?
Fühlen sich Management und Mitarbeitende genügend eingebunden?
Sind Management und Mitarbeitende gewillt und auch fähig, die Transformation zu vollziehen?
Insbesondere den letzten Punkt gilt es hier nochmals genauer zu beleuchten.
Auf der einen Seite geht es bei dieser Frage um das «Wollen», sprich die Motivation, die digitale Transformation voranzutreiben, bei den vielen Veränderungen aktiv mitzumachen und auch die Konsequenzen mitzutragen. Viel ist für den Willen und das Wollen bereits getan, wenn die aufgezählten Punkte 1 bis 5 erfüllt sind. Dabei ist die vierte Frage nach der persönlichen Perspektive zentral, denn mit dieser sind die verhinderungsmächtigen und meist auch unausgesprochenen «Ängste» verbunden. Habe ich nach erfolgter Transformation weiterhin eine gleichwertige Rolle und Stellung im Unternehmen? Verliere ich an Macht und Einfluss? Muss ich um meinen guten Lohn fürchten? Braucht es mich überhaupt noch? Wenn die persönliche Perspektive unklar, unrealistisch oder demotivierend ist, wird kaum jemand «willig» eine Transformation mitgestalten wollen.
Auf der anderen Seite geht es bei dieser Frage um die «Fähigkeit». Damit ist zuerst einmal die Organisation als Ganzes angesprochen. Verfügt das Unternehmen über eine Unternehmenskultur, welche eine Transformation begünstigt? Wenn eine Kultur primär die guten alten Zeiten hochhält, tendenziell patriarchalisch geführt und auf Sicherheit, Erfahrung, Ordnung, Regeln, Harmonie und Konsens bedacht ist, fällt es dem entsprechenden Unternehmen sicher schwerer, sich zu transformieren, als wenn sich die Kultur durch Mut und Entschlossenheit, durch Pragmatismus, Neugierde, visionäres Denken und Explorationsgeist auszeichnet. Diese Ausprägungen können je Organisationseinheit sehr unterschiedlich ausfallen. Sich mit der eigenen Unternehmenskultur auseinander zu setzen und deren Gegebenheiten in der eigenen Transformationsplanung zu berücksichtigen, ist gleichzeitig ein Muss, als oft auch ein schwerwiegendes Versäumnis.
Doch nicht nur die Organisation als Ganzes, sondern auch das Individuum, sprich die einzelnen Führungskräfte und Mitarbeitenden, müssen eine «Transformationsfähigkeit» aufweisen. Dabei sind sowohl die persönlichen und sozialen, als auch die methodischen und fachlichen Kompetenzen angesprochen. Im Grundsatz hat ein Mensch aus psychologischer Sicht immer ein Entwicklungspotenzial. Doch stellt sich aus unternehmerischer Sicht halt doch die Frage, was die Entwicklung der einzelnen Individuen «kosten» darf. Nebst der Fähigkeit, geben für ein Transformationsprojekt meist die Zeit und das Geld den Rahmen vor. Ohne Despektierlichkeit ist es aus ökonomischer Sicht deshalb kaum tragbar, beispielsweise eine kaufmännische Assistenzkraft zu einem Software Engineer umzuschulen, Wille hin oder her. Der digitalen Transformation sind damit unweigerlich auch menschliche Grenzen gesetzt. In der digitalen Welt erfolgreich zu sein, erfordert über das nötige Know-how zu verfügen. Wenn die eigenen Führungskräfte und Mitarbeitenden nicht über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen, wenn sich Aufwand und Ertrag für deren Umschulung und Entwicklung nicht rechtfertigen lässt und wenn auch keine interne Umplatzierung, externe Lösung (Outplacement) oder Frühpensionierung zur Option steht, ist deren Entlassung zugunsten der Rekrutierung einer neuen ausgebildeten digitalen Fachkraft einfach unumgänglich. Sich vorgängig mit der Transformationsfähigkeit der eigenen Führungskräfte und Mitarbeitenden auseinander zu setzen, ist deshalb für eine erfolgreiche Transformation ebenso elementar, wie über genügend finanzielle Ressourcen und digitale Marktopportunitäten zu verfügen. Und so unspektakulär, polarisierend und vielleicht auch provozierend die Aussage klingen mag: Aus einer Schreibmaschine kann man einfach kein MacBook bauen, dafür werden grundsätzlich ganz neue Komponenten (Fähigkeiten) benötigt.
Zudem zeigt die Erfahrung, dass gerade Entlassungen auf Managementstufe durchaus auch sehr befreiend und motivierend wirken können. In Erinnerung bleibt die Aussage eines früheren Top-Managers eines führenden Reiseveranstalters, welcher für das erste Scheitern der eigenen Transformation folgenden Hauptgrund genannt hatte: «Wir hatten leider nicht den Mut, die alten Könige zu köpfen.» Selbstverständlich ist dies eine rein ökonomische und nicht sozialpolitische Betrachtung.
Passend zum Thema ist auch folgender Beitrag von ReMindset: Zeige deine beste Seite!
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Die zitierte Studie von McKinsey finden Sie hier.
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Text: David Elsasser
Publikation nur mit Genehmigung und Nennung des Autors und der Unternehmung ReMindset. Sämtliche Aussagen in diesem Beitrag basieren auf der persönlichen Meinung und
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